„Hallo, ich bin Ammonite und mehr oder weniger selbstverschuldet lande ich immer in der Gerontologie. Freut mich Sie kennen zu lernen“.
„Hallo, ich bin Ammonite und mehr oder weniger selbstverschuldet
lande ich immer in der Gerontologie. Freut mich Sie kennen zu lernen“.
Das ist der Satz, mit dem ich mich inzwischen routinemäßig
in jeder neuen Praktikumsstelle vorstelle. Er könnte nicht wahrer sein denn in
neun von zehn Fällen werde ich für Stationen eingeteilt die irgendetwas mit der
Betreuung, Bespaßung und Beratung von Menschen ab 55 aufwärts zu tun haben.
Und lassen Sie mich ganz ehrlich sein, nie habe ich dabei
interessanteres und unterhaltsameres Klientel kennengelernt:
Arnie…
…hieß eigentlich anders, wird aber aus
Datenschutzrechtlichen Gründen unter obengenanntem Alias vorgestellt. Allmorgendlich
der erste der mich begrüßte und mich, in Windelhöschen und Arnold
Schwarzenegger-Pose in ein Gespräch über die Schönheit des klassischen Amerikanischen
Männerkörpers verwickelte. Dabei war er gar kein Amerikaner, sondern Urschwabe
und verlangte aus diesem Grund gerne und lautstark nach „another portion of Gsälz
aber quick!“. Auch führte er stets eine strahlendblaue Krücke mit sich, welche
er jedoch nicht aus Gründen der Gangunsicherheit, sondern zur Verteidigung
gegen alle in- und ausländischen Feinde Vereinigten Staaten von Bayrisch-Schwaben
benötigte.
Die Albanerin
Unsere Stationsamsel. War Kettenraucherin mit einem Hang zum
Horten glitzernder Gegenstände. Nicht selten fand ich in ihrem Bett einen
meiner Kugelschreiber, Teile meines Namensschilds oder diverse Eheringe, die Sie
wohl Kollegen oder Mitpatienten in einem unbeobachteten Moment entwendet haben
musste. Auch gehörte es zu einer ihrer liebsten Angewohnheiten sich vollkommen entblättert
vor dir auf den Boden zu werfen, um Zigaretten oder Cola zu erpressen, einer Masche,
die zwar nicht zum gewünschten Ziel führte, jedoch zu aggressivem Herpes und
einer Stationsübergreifenden Ehekrise.
Ewa
Auch Sie war der Ansicht, ihren Brustkrebs sowie jedes
andere menschliche Leiden mit nacktem Sonnenbaden, roter Beete, Honig und
Kurkuma heilen zu können. Ewa war davon überzeugt, zu Unrecht hier zu sein und
dass sie sich jetzt eigentlich schon längst auf einer Fortbildung zum Thema
Lichtnahrung in Südamerika befinden müsste. Dass ihr Aufenthalt vielleicht
etwas mit den vier Mercedes zu tun haben könnte die sie sich von ihren ersten
450€ Rente kaufen wollte, konnte Sie sich nicht vorstellen.
Adolfo
Eigentlich lebte er schon seit über 45 Jahren in Deutschland und verhielt sich auch auf Station oftmals deutscher als die Einheimischen selbst. Nichtsdestotrotz hatte er aufgrund fortgeschrittener Demenz jeglichen einstmals vorhanden deutschen Wortschatz vergessen und kommunizierte nun mit einer Mischung aus Schwäbisch, Italienisch mit starkem venetischem Akzent und eindeutiger Gestik und Mimik. Nur schwer war es dabei dem Stationsteam gelungen, ihm den Hitlergruß als allgemeingültige Begrüßung abzugewöhnen. Und auch den Sprachverlust kaufte ihm niemand mehr wirklich ab, seit er einige eindeutige Zitate aus „Mein Kampf“ zum Besten gegeben hatte.
Nun habe ich mich nur mit den kuriosen und lustigen
Gegebenheiten des Stationsalltags befasst. Dass es manchmal auch traurige, Momente
gibt vergisst man dabei leicht. Wenn ein Patient, der sich eigentlich schon auf
dem weg zur Besserung und auf die Offene Station befindet, plötzlich tot am
Heizkörper erhängt aufgefunden wird oder wenn eine Frau mit hochgradiger Demenz
fast schon gewaltsam fixiert werden muss, weil sie sonst sich selbst oder
andere in Gefahr bringt. Wenn diese Frau nicht weiß, dass sie nicht mehr im
Stasigefängnis eingesperrt ist und dass ihre Mutter schon längst tot ist und
sie sie nicht mehr vor dem Krieg retten kann…das ist dann scheiße. Das tut dann
weh.
Selbst mir bleibt dazu nicht viel zu sagen. Denn auch diese
Menschen sind irgendwann Vergessene, spätestens dann, wenn ich auf eine neue
Station komme und meinen Vorstellungssatz herunterbete: „Hallo, ich bin
Ammonite und mehr oder weniger selbstverschuldet lande ich immer in der
Gerontologie. Freut mich Sie kennen zu lernen“.
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